032 - Strom in den Beinen

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E-bikes boomen. Mitten in diesem Boom entschied sich mein Gast, Pascal Lapierre, e-bikes aus dem Sortiment zu nehmen. Seine Kunden brauchen den Strom in den Beinen. Was ihn zu diesem Entscheid gebracht hat und vieles mehr erfahren wir heute direkt vom Inhaber des bike cafes.

Als Unternehmerin/Unternehmer dürfen oder müssen wir uns immer wieder entscheiden zwischen verschiedenen Optionen. Das trifft natürlich auch aufs normale Leben zu. Wo und wie auch immer: Es gibt verschiedene Wege, zu einer Entscheidung zu kommen. Warum Pascal sich ausgerechnet gegen einen Boom entschieden hat, erfahren wir von ihm direkt.

CM: Pascal, herzlich willkommen. Bevor wir zu diesem Entscheid kommen, den du gefällt hast, bitte ich dich, dich zuerst vorzustellen.

Pascal (PL): Mein Name ist Pascal Lapierre. Plus minus am heutigen Tag vor 20 Jahren habe ich beschlossen, selbständig zu werden.

Ich bin Velomechaniker, -händler, -verkäufer. Ich sehe mich am ehesten als Mechaniker. Ich habe eine Frau und zwei Kinder, wir wohnen seit jeher in Schaffhausen.

CM: Wie wurdest du zu Unternehmer?

PL: Velomechaniker ist meine Leidenschaft, meine Passion. Ich hatte das Glück, dass ich nach der Lehre an zwei Orten arbeiten durfte. Zuerst in Fehraltorf. Diesen Job bekam ich über einen Schulfreund. Dort hatte ich einen wahnsinnig guten Chef. Er liess Roland, einen Kollegen, und mich mehr oder weniger machen und bügelte aus, was wir verbockten. Die zweite Stelle war in Wallisellen. Ruedi war ein Amateur-Strassenfahrer und sein Geschäft war sehr sportiv ausgerichtet.

Nachdem ich mein Können bei ihm hatte zeigen können, durfte ich ebenfalls mehr oder weniger machen, was ich wollte.

Ich hatte schon immer gesagt, dass wenn ich nach Schaffhausen zurück komme, um hier zu arbeiten, ich selbständig werden und mich nicht anstellen lassen möchte. Das hat sich dann so ergeben und ist gewachsen und für mich war es der richtige Weg.

Ich fand immer, dass wenn ich mich anstellen hätte lassen, hätte ich auch bleiben können, wo ich war, da ich es dort ja sehr gut gehabt hatte.

In Wallisellen konnte ich die ganze Bikegeschichte aufbauen und mit entscheiden, was wir machen und was nicht. Ruedi war ja mehr auf Rennräder spezialisiert. So lernte ich schon einiges neben der Arbeit als Mechaniker.

CM: Nach deiner Rückkehr hast du das bike café gegründet. Wie ging das? Du kamst zurück und dann hast du einfach einen Raum gesucht?

PL: Die Idee, selbständig zu werden, war ja bereits da. Entsprechend hatte ich von langer Hand geplant. Fast ein Jahr vor der Selbständigkeit hatte ich mein Logo und die Idee. bike café ist die Kombi von Kaffee und Bike, zwei Sachen, die ich sehr mag. Das wollte ich zusammen bringen.

Vor 20 Jahren hatte ich noch einmal lange Ferien. Mein Chef in Wallisellen unterstützte mich bei meiner Idee. Er fand die Idee cool, war aber froh, wenn ich noch ein bisschen bei ihm arbeiten würde. Ich fand das auch gut, da ich ja nicht wusste, wie es laufen würde.

Ich wollte von null anfangen und nicht ein bestehendes Geschäft übernehmen. Über Monate suchte ich ein Ladenlokal, schaute, wo es für mich passen würde. Es ergab sich dann super, dass ich im Alpenblick den alten Quartierladen übernehmen konnte zu einem sehr angenehmen Preis. Ich musste einfach alles neu machen, es war eine ziemliche Bruchbude.

So hat sich einfach alles ergeben. Alles war irgendwie fliessend. Das mag ich sehr, wenn sich alles entwickeln kann und man allem Zeit geben kann.

CM: Du kommst ursprünglich ja aus dem Bikesport. Entsprechend hattest du wohl dein Angebot aufgebaut?

PL: Die Idee war: Alles ohne Schutzblech. Ich wollte das Rad als Sportgerät und nicht als reines Fortbewegungsmittel. Ich finde das zwar sehr gut, aber der Sport mit diesem Gerät stand für mich immer im Vordergrund. Der Kunde erwartet dann natürlich vom Mechaniker auch eine gewisse Leistung, damit das Velo beim Wettkampf bereit ist. Diese Herausforderung mag ich, das Rad bereit zu haben, wenn der Athlet, die Athletin es braucht.

Das kannte ich als Mechaniker von Strassenteams oder von der Downhill-Nationalmannschaft, in welcher ich Mechaniker gewesen war. Dort habe ich geübt und gelernt, was funktioniert und was nicht. Ich war immer eher in diesem sportiven Bereich zu Hause.

CM: Überspringen wir ein paar Jahre. E-bikes kamen auf und du hast ja auch während mehrerer Jahre e-bikes verkauft. Jetzt nicht mehr. Wieso nicht mehr?

PL: Wir müssen ein bisschen zurückgehen, um das zu verstehen. Bis ich E-bikes verkaufte, dauerte es schon ewig. Ich sträubte mich immer gegen deren Verkauf. Ich fragte mich immer, ob es sein musste oder nicht.

Es waren dann wahrscheinlich zum ersten Mal unternehmerische Entscheide, die dazu führten, dass ich E-bikes ins Programm aufnahm. Nach fünf Jahren Selbständigkeit wurde ich Vater. Ich wollte meinen Sohn sehen und etwas von ihm haben. Meine Frau wollte auch wieder arbeiten. Also wollte und musste ich teilweise auch mehr zu Hause sein. Alleine im Geschäft war das nicht möglich. Ich fand dann einen sehr guten Mitarbeiter, der fast 10 Jahre bei mir arbeitete. In dieser Zeit musste ich halt einfach zwei Löhne finanzieren. Wir waren beide auf der gleichen Welle. Er wurde auch Vater und und wir genossen die Flexibilität. Wir konnten auch mal nach Hause, wenn Not am Mann war, ohne sich erklären zu müssen. Diese Flexibilität bedeutete für uns zwar finanzielle Abstriche, die wir aber gerne in Kauf nahmen.

Im Geschäft mussten wir so den einen oder anderen Weg aufmachen, um etwas mehr Geld einzunehmen. So öffnete sich dann auch der Weg fürs Elektrovelo. Heute sage ich manchmal: „Sie waren jung und brauchten das Geld.“ Dies war ein möglicher Weg.

Als Marco dann bei mir aufgehört hat, versuchte ich zwei Jahre lang noch, das gesamte Portfolio zu bedienen und alles selber zu machen. Ich merkte aber bald, dass es zu viel war für mich. Ich versuchte verschiedene Dinge, um meine Arbeitsstunden etwas zu reduzieren. Allerdings klappte das mit keiner meiner Ideen.

Der nächste Schritt war, das Sortiment zu verkleinern, also zu schrumpfen. Ich glaube, es ist für alle nachvollziehbar, dass ich mich danach richtete, wo mein Herz war. Nicht bei den e-bikes.

CM: Du hättest ja auch anders entscheiden können, nach dem Portemonnaie und nicht nach dem Herz…

PL: Das ist richtig. Wenn man aber genauer hinschaut, sind es aber nicht zwingend die Elektrovelos, die mehr einbringen. Der Verkauf ist zwar einfacher, aber alles, was hinterher kommt, ist ja auch Arbeit und Zeit, die ich investieren muss. „Alles ohne Schutzblech“ ist mir in letzter Zeit immer wieder in den Sinn gekommen.

Ich bin jetzt wieder dahin, wo ich her kam, wo meine Leidenschaft ist und wo ich wirklich gut bin.

Die Breite in unserer Branche ist so gross, dass ein Mensch praktisch gar nicht mehr alles kann. Mich störte, dass ich in gewissen Bereichen abgerutscht bin und mittelmässig wurde, weil ich ein so breites Portfolio bediente. Ich musste an Orten, die mir wichtig sind, Wissen abbauen um überall dabei zu sein. Das wollte ich nicht. Ich will an einem Ort gut sein.

CM: Eben, du bist geschrumpft, du hast in der Werkstatt keine Mitarbeitenden mehr, nur noch in der Administration. Du hättest dich ja auch anders entscheiden und ausbauen können. Du hättest dich um die schutzblechlosen Räder gekümmert und jemand anderes um die E-bikes etc. Wieso hast du dich gegen das Wachstum entschieden?

PL: Diese Gedanken habe ich mir auch gemacht. Der Hauptgrund, nicht zu wachsen, war die Tatsache, dass ich eigentlich gar nie Chef sein wollte. Ich habe gemerkt, dass mir das nicht liegt. Wieso, weiss ich nicht, aber ich mag es nicht, Menschen zu führen, die das machen, was ich eigentlich gern mache. Ich bin Mechaniker und das liebe ich. Sobald du Angestellte hast, gibst du das halt ab.

Mein Entscheid war also, dass ich zurückging. Ich bin in der Werkstatt und kann machen, was ich am Liebsten mache und wo ich gut drin bin und habe jemanden in der Administration, die das wirklich super macht.

Der andere Weg wäre eben gewesen, gross zu werden. Grosse haben wir in der Schweiz gegenwärtig aber sehr viele, viele kommen auf den Markt. Gross heisst halt auch, dass man viel verkaufen muss. Das bedeutet in unserer Branche dann grosse finanzielle Investitionen, die man tätigen muss. Das Geld muss da sein.

Ich bin seit dem ersten Tag selbstfinanziert. Das war und ist mir wichtig. Ich wollte zu jedem Zeitpunkt die Option haben zu sagen, „schön wars“ und die Ladentür für immer zu schliessen. Ohne Schulden auf der Bank.

CM: Hattest du nie Angst, dass dir viel Umsatz wegbricht, wenn du die E-bikes nicht mehr im Sortiment führst? Ich gehe davon aus, dass die Nachfrage nach Elektrovelos viel grösser ist als nach Mountainbikes und Rennvelos. Hattest du nie Zweifel?

PL: Nein, eigentlich nicht. Natürlich ist es so, dass ich ja nicht gestern entschieden habe, dass ich ab heute keine Elektrovelos mehr verkaufe. Ich hatte ja diverse Massnahmen getroffen, um mich zu entlasten. Da hat nichts funktioniert. Dann kam der Punkt, an dem ich einen Teil des Sortiments abgeben musste, um mich zu entlasten. Ich bin durch mein Sortiment gegangen und habe dann halt eben festgestellt, dass mich Elektrovelos nicht glücklich machen.

Corona hat mir da eigentlich noch geholfen, weil die Lieferketten plötzlich nicht mehr funktionierten wie vorher. Meine Lieferanten möchten am liebsten 1,5 Jahre im Voraus wissen, was ich verkaufen werde und gleich bestellen.

Ich wollte für mich einen anderen Weg und entsprechend Lieferanten finden, die mit mir diesen anderen Weg gehen wollten.

Angst hatte ich nie. Ich hatte auch Kunden, die mich fragten, ob ich e-bikes wieder ins Sortiment aufnähme, wenn nichts mehr laufen sollte. Wenn das, was ich jetzt mache, nicht funktioniert, ist vielleicht auch der Zeitpunkt gekommen, zu sagen, dass ich nicht mehr das so machen kann, wie ich das möchte. bike café, das bin ich, das darf auch mit mir wieder aufhören. Das ist ja nichts, das über Generationen weitergehen soll. Dieses Wissen hat mir sehr geholfen.

CM: Das finde ich einen spannenden Punkt. Du hast sehr jetzt sehr oft gesagt „Das bin nicht mehr ich“, „Hier schlägt mein Herz nicht“, „Das macht mich nicht glücklich“, „Das bike café ist nicht für die Ewigkeit“. Das klingt für mich sehr einfach: Du schaust, was dich glücklich machst. Falls etwas nicht mehr passt, machst du was anderes. Ist es so einfach? Wie funktionierst du, respektive triffst du Entscheidungen? Wie sieht dieser Prozess aus?

PL: Meistens ist es ein sehr langer Prozess. Das klingt jetzt sehr einfach und sehr schön. Für mich musste ich es mal ordnen: Nach was wollte ich mich richten? Ich nehme mir meistens bewusst Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Nehmen wir das e-Velo. Den Entscheid, damit aufzuhören, fiel schon vor längerem, aber erst im Januar dieses Jahres wurden die letzten Räder geliefert, die ich ja schon viel früher bestellt hatte. Es war also auch ein schleichender Prozess.

In den letzten Jahren habe ich aber gemerkt, dass es für mich sehr wichtig ist, einen Plan zu haben. Dann ist alles ok, egal, was passiert. Ob es dann klappt und so kommt, wie ich mir das vorstellte oder nicht, ist dann gar nicht mehr so wichtig. Damit kann ich leben, denn ich habe ja einen Entscheid gefällt in der Überzeugung, dass es so richtig ist. Wenns dann so kommt, umso besser.

CM: Wie fällst du solche Entscheide? Ist das Kopfsache oder aus dem Bauch heraus?

PL: Ich denke, es ist beides. Mittlerweile kommt zu Bauch und Kopf noch die Erfahrung dazu. Ich frage mich oft, wie ich früher in einer ähnlichen Situation entschieden habe. Kam es gut oder schlecht? Wobei gut und schlecht schwierig ist, einzuordnen. Besser wäre: Hat es sich so entwickelt wie geplant oder nicht? Etwas, das nicht funktioniert, ist ja nicht per se schlecht. Sondern man lernt daraus. Es ist ja ein Weitergehen, Weiterkommen. Manchmal dauert es bei mir länger, bis ich entschieden habe. Aber wenn es entschieden ist, dann mache ich es so.

Ich hatte auch Kunden, die fragten, ob mir das Ernst sei mit den Elektrovelos. Als ich mich dafür entschieden hatte, war es ja ein Teil des Planes, dass ich entlastet werde. Damit war auch klar, dass damit wohl eine Umsatzeinbusse einhergeht. Aber dafür hatte ich mich ja entschieden. Also gibts auch keinen Grund, nervös zu werden, wenn der Umsatz jetzt tatsächlich vorübergehend zurückgeht.

CM: Mehr Zeit haben für dich…

PL: Genau. Ich glaube, man darf sich die Zeit nehmen, um einen Entscheid zu fällen. Ich habe aber nicht ein bestimmtes Vorgehen, das immer dasselbe ist. Manchmal muss man es spüren, manchmal nicht. Ab und zu habe ich ein paar Tage im Jahr, während welchen ich mit fischen gehe. Ich und ich, sozusagen. Dann habe ich Zeit. Manchmal denke ich nichts, manchmal denkt es ganz viel. Manchmal entscheide ich etwas, manchmal nicht.

CM: Wenn wir schon beim Wasser sind. Mit dem Entscheid gegen das E-bike schwimmst du ein bisschen gegen den Strom. Bist du jemand, der gerne gegen den Strom schwimmt oder machst du losgelöst von den anderen, was dir passt? Egal, ob das nun mit oder gegen den Strom ist?

PL: Wenn ich zurückdenke, glaube ich, dass ich doch öfter gegen den Strom geschwommen bin. Ich finde, dass unsere Branchen so viele Entwicklungen gemacht hat und es durchaus auch erlaubt ist, mal etwas anders zu machen. Ich merke, dass ich damit anecke. Manche Lieferanten können nicht damit umgehen, dass ich plötzlich gesagt habe, dass ich das so nicht mehr mitmache.

Ich glaube, im Moment schwimme ich aber gar nicht extrem gegen den Strom. Viele, die in der gleichen Grösse sind wie ich oder ein bisschen grösser, müssen ihr Nischen suchen. Denn aktuell drängen so viele Grosse auf den Markt, die ganz andere Möglichkeiten haben, dass man da nur schwer mitmachen kann.

Dieses Suchen und Finden der Nische kostet halt auch etwas: weniger Umsatz, weniger Kunden. Aber eben: Ich habe jetzt 20 Jahre Selbständigkeit hinter mir und die nächsten 20 beginnen. Ich darf noch lange arbeiten und da finde ich es wichtig, dass ich etwas mache, das mir Freude und Spass macht. Insofern sehe ich diese Umstellung als Investition in die nächsten 20 Jahre.

CM: Pascal, vielen Dank für das schöne Schlusswort und das Gespräch.

Spannend, wie man zur Unternehmerin oder zum Unternehmer wird und Entscheidungen fällt, nicht? Natürlich ist die Herangehensweise sehr individuell. Wenn du dich individuell präsentieren möchtest, bin ich gerne für dich da.

Ich freue mich, wenn du in zwei Wochen wieder dabei bist. Dann geht es mit Strom weiter. Nicht dem Wasserstrom, sondern dem anderen Strom. Ich freue mich auf dich und wünsche dir eine gute Zeit.

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